1934 – STIMMEN

ODER: ALS MEIN MANN DAS GROSSE GLÜCK HATTE, DEM FÜHRER IM TEMPELHOFENER FLUGHAFENRESTAURANT EINE ERFRISCHUNG REICHEN ZU DÜRFEN

Shortlist Theatertreffen 2021 / Berliner Festspiele
prämiert mit dem Kurt-Hackenberg-Preis für politisches Theater 2020
nominiert für den Kölner Theaterpreis 2020

Eine Produktion von Futur3, im NS-Dokumentationszentrum Köln
Premiere: 4.9. 2020; Wiederaufnahme: 24.10.-7.11.2021

Regie: André Erlen / Spielfassung: Ensemble / Spiel: Frank Casali, Anja Jazeschann, Stefan H. Kraft, Luzia Schelling, Regina Welz / Bearbeitung Abel-Papers, Chortext: Charlotte Luise Fechner, Sandra Nuy / Komposition, Musik: Jörg Ritzenhoff / Musik, Gesang / Mariana Sadovska / Kostüme: Petra Maria Wirth / Video, Malerei, Raum: Kane Kampmann / Licht: Boris Kahnert / Produktion: Theresa Heußen

1934 – Stimmen basiert auf einer Aufsatzsammlung des US-Soziologen Theodore Abel (1896-1988), der im Juni 1934 mit offizieller Unterstützung durch das Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda einen Schreibwettbewerb auslobt – rund 700 autobiografische Aufsätze gingen bei Abel ein. Futur3 unterzieht die Lebensläufe einer theatralen Re-Lektüre und collagiert die persönlichen Bekenntnisse in den Kellergewölben des NS-Dokzu zu einem vielstimmigen Parcours zwischen Live-Performance und multimedialer Installation. Futur3 blickt zurück und stellt sich der Frage, wer die Menschen waren, die die historische Nazi-Bewegung unter Einsatz sämtlicher Mittel systematisch vorangetrieben haben. Befragt wird damit auch unsere Gegenwart: Welche Lebenswege führen in die Radikalisierung?

Fotos: Martin Rottenkolber / Presse: Kölner Stadtanzeiger, 5.9.2020

PRESSESTIMMEN

Ein szenisch aufregendes, vielperspektivisches Gesamtkunstwerk, eine ungemein kluge Geschichtslektion.

Theater heute, Dorothea Marcus, November 2020

Eine Frau (Luzia Schelling) liegt auf dem Boden, eingehüllt in ein braunes Tuch. Doch Schutz braucht sie eigentlich nicht. Sie wünscht sich nichts sehnlicher, als ein Mann zu sein, um ihren Kampfeswillen auszuleben zu können. Ihre Verzweiflung nach der Kriegsniederlage von 1918 findet erst Erlösung in der Begegnung mit dem Nationalsozialismus. Sie wird zur Parteisoldatin, die für den „Führer“ kämpft.
„Warum ich Nationalsozialist wurde“ lautete die Frage eines Preisausschreibens, auf das diese Frau antwortete. Ausgelobt wurde es von dem polnisch-amerikanischen Soziologen Theodore Abel, der nach Gründen für die Machtübernahme Hitlers forschte. (…)  80 Jahre später erschienen 85 dieser Biogramme auf Deutsch, aus denen Stefan H. Kraft und André Erlen von der Gruppe Futur3 die Stationen-Performance „1934 – Stimmen“ im NS-Dokumentationszentrum entwickelt haben. Nach einer Einführung auf Schultafeln geht es hinab in den Keller. Jede Station wird einer entindividualisierten Personengruppe zugewiesen. Da berichten „Groupies“ via Lautsprecher, wie sie zu ihrem Popstar Hitler pilgern. Der „Jünger“ (Stefan H. Kraft) breitet sein moralisch völlig unbeflecktes Leben, seine Enttäuschung über 1918 und die Epiphanie in der Begegnung mit Hitler aus. Eine „Orthodoxe“ (Anja Jazeschann) schwankt zwischen predigthaftem Glaubensbekenntnis und trockenem Bericht, die schließlich in eine fast wahnhafte Gehetztheit übergehen. (…) Futur3 macht daraus einen mehr als nur beeindruckenden Parcours, dessen Gegenwartsbezug dem Besucher regelrecht ins Gesicht schlägt. (…)

Choices, Hans-Christoph Zimmermann, Oktober 2020

Eine Begegnung mit der Vergangenheit, deren Intensität es in sich hat.

F. Olbert, Kölner Stadt-Anzeiger 3.9.20